Die Wahlkämpfe 2024 in Rumänien sind von vielfältigen, sich aneinanderreihenden Krisen geprägt. Der Krieg in der Ukraine wird den Staatshaushalt weiterhin belasten, und der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl wird von entscheidender Bedeutung für das Land sein. Beide Entwicklungen bergen ein unwägbares Risiko für Politik und Wirtschaft. Innenpolitisch könnten Akteure mit radikal populistischen Botschaften die Inflation und andere sozialökonomische Ängste der Bevölkerung politisch für sich ausschlachten. Darüber hinaus werden die ungewisse Zukunft der sozialliberalen Koalition (PSD-PNL) und die Präsidentschaftswahl – vorerst noch eine große Unbekannte – zusätzliche Herausforderungen für die Linke in Rumänien mit sich bringen.
2024 – ein historisches Wendejahr?
In den rumänischen Schlagzeilen wird das politische Jahr 2024 in sensationsgierigen Klischees beschrieben, als ob es um „die Mutter aller politischen Schlachten“ ginge. Allerdings steckt in der journalistischen Sensationsmache auch ein Körnchen Wahrheit – das „Superwahljahr 2024“ ist tatsächlich wichtig, jedoch nicht aufgrund der vier aufeinanderfolgenden Wahlgänge in der zweiten Jahreshälfte (Europawahlen, Kommunalwahlen, Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen), sondern weil dadurch ein politischer Wechsel eingeläutet werden könnte, der die nächste Dekade in der rumänischen Politik entscheidend prägen würde.
Darüber hinaus könnte 2024 ein Wendejahr für Rumänien werden, weil auch internationale Mega-Events im Zusammenhang mit Wahlen das Weltgeschehen beeinflussen werden. Hinsichtlich der Wahlen für das Europäische Parlament im Juni 2024 könnte man eine Fortführung des Bündnisses zwischen der EVP, den Sozialisten und den Liberal-Fortschrittlichen (Renew Europe) prognostizieren, was die Stabilität der EU-Institutionen zur Folge hätte. Mit den Europawahlen ist jedoch auch ein signifikantes Erstarken der europaskeptischen Parteien zu erwarten, die eher als natürliche Verbündete Moskaus innerhalb der EU gelten. Die europäische Solidarität gegen Russlands Aggressionspolitik würde somit Risse bekommen.
Die besorgniserregende – und vorerst noch abwendbare – Perspektive, dass Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen einen Wiedereinzug ins Weiße Haus schafft, könnte ein Katalysator für globale Veränderungen sein, die sich unmittelbar auch auf Rumänien auswirken würden. Unter vielen denkbaren Konsequenzen, hätte dies zur Folge, dass der Konflikt in der Ukraine statt auf Frieden auf einen Waffenstillstand hinsteuert. Der Nachbarstaat Rumäniens käme in der Folge, angesichts fließender Grenzen im Osten, für einen EU-Beitritt nicht mehr in Frage. Für die Republik Moldau ginge damit eine historische Chance verloren, wenn die Osterweiterung der Europäischen Union fristlos auf Eis gelegt werden würde. Des Weiteren könnten die chinesisch-amerikanischen Spannungen eskalieren, selbst wenn derzeit versöhnliche Töne angestimmt werden.
Ängste, Krisen, Synergien
Es ist allgemein bekannt, dass Wahlergebnisse von Ängsten der Bürger_innen beeinflusst werden, von realen oder imaginären Krisen – und von der Synergie zwischen den Erwartungen und Wünschen der Wählerschaft und der Fähigkeit der politischen Handelnden, darauf zu reagieren.
Falls keine unerwarteten Ereignisse eintreten, ist davon auszugehen, dass das Wahljahr 2024 vor dem Hintergrund vielfältiger, sich aneinanderreihenden Krisen über die Bühne laufen wird. Es ist vorauszusehen, dass internationale Krisen nicht abflauen werden, allen voran der Konflikt in der Ukraine; als Konsequenz sind erhöhte Zuwendungen für die Verteidigung zu erwarten, was den Staatshaushalt zusätzlich belasten und inflationären Druck auf die Preise für Rohstoffe ausüben wird. In der tagtäglichen Wahrnehmung der Wählerschaft hat der Krieg als dramatisches Ereignis an Bedeutung abgenommen, so dass die psychologische Relevanz von außergewöhnlichen Maßnahmen oder Ereignissen wie die Bildung von übergreifenden Koalitionsregierungen oder das Beschwören von Retterfiguren gering sein wird. Internationale Krisen werden nicht mehr als Hauptressource der politischen Legitimierung fungieren können, so dass die politischen Parteien sich auf andere Argumente werden berufen müssen, um ihre politischen Handlungen zu legitimieren.
Innenpolitisch wird sich das Spannungsfeld aus der Anforderung an die Politik speisen, die legitimen Erwartungen der Bevölkerung (Anhebung der Löhne, Renten und Sozialleistungen) zu erfüllen, und der Fähigkeit der jeweiligen Regierung, die dafür notwendigen Ressourcen aus der Wirtschaft abzuschöpfen. Die unversöhnlichen Positionen der Befürwortenden einer Umverteilung des Wohlstands und – im Gegensatz – der Unterstützenden einer Akkumulation des Reichtums in den Händen der Unternehmerschaft werden immer sichtbarer. Bis Mitte 2024 wird das Problem der Inflation nicht vollständig gelöst werden können, so dass die sozioökonomischen Ängste der Bevölkerung durchaus von Gegner_innen der Verfassungsordnung und Akteuren mit radikal populistischen Botschaften aufgefangen werden könnten.
Ein weiteres Spannungsfeld könnte sich aus den im Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (PNRR) enthaltenen strukturellen Reformen und dem politischen Kalkül der Parteien eröffnen, dringend benötigte Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben. Dazu gehört die Reform des Steuersystems, aber auch die territoriale Verwaltungsreform – beide sind überfällig, werden jedoch vermutlich erneut aufgeschoben.
Vor diesem ungewissen Hintergrund zeichnet sich ab, dass die politischen Weichenstellungen für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sich erst nach dem Urnengang für das Europäische Parlament am 9. Juni 2024 kristallisieren werden. Die Nationalliberale Partei (PNL) wird entscheiden müssen, ob sie weiterhin wie eine Oppositionspartei innerhalb einer Regierungskoalition agiert oder tatsächlich die Oppositionsbank drückt. Falls die Liberalen weniger als die psychologische 20 %-Marke in der Gunst der Wählenden erreichen, könnte dies – ähnlich wie 2014 – zu einem Wechsel an der Parteispitze führen, und der oder die neue Parteichef_in würde auch als Präsidentschaftskandidat gehandelt werden. In diesem Szenario, das angesichts der Nervosität in den Reihen der PNL sehr wahrscheinlich ist, bliebe die Sozialdemokratische Partei (PSD) die einzige regierungsfähige Partei – allerdings in einem Minderheitskabinett. Laut der rumänischen Verfassung (Art. 89, Abs. 3) dürfen während der letzten sechs Monate der Amtszeit des Staatspräsidenten keine vorgezogenen Wahlen stattfinden.
Sollte die PNL bei den Europawahlen kein zufriedenstellendes Ergebnis (weniger als 20 % der Stimmen) einheimsen können, eröffnet sich auch das Szenario einer Fortführung der Koalition mit der PSD, was allerdings weniger wahrscheinlich ist. Obwohl die Staatsraison eine Fortführung der „großen“ Koalition PSD-PNL durchaus rechtfertigen würde, könnte die Verlängerung der „Zweckehe“ mit den Sozialdemokraten den Strategen der PNL sauer aufstoßen, zumal in einer Koalition nur wenig Raum für kontroverse Diskurse vorhanden wäre, die die eigene Kernwählerschaft ansprechen.
Letztendlich gibt es auch die Möglichkeit, dass sowohl die PSD als auch die PNL bei den Europawahlen zulegen. Dies würde jedoch die Prämisse dieser Analyse, dass fortwährende Krisen die radikal populistischen Kräfte stärken, widerlegen. Wahrscheinlicher ist, dass mindestens eine der beiden bisher koalierenden Großparteien die Rechnung für das allgemeine Misstrauen der Bevölkerungsmehrheit gegenüber dem politischen Establishment serviert bekommt.
Der Lackmustest für die Synergie zwischen der Bevölkerung und den politischen Parteien wird die Wahlbeteiligung sein. Es ist kaum vorstellbar, dass sich eine Wahlbeteiligung wie bei den Europawahlen 2019 (damals: 51,2 %) wiederholen wird. Im Jahr 2019 war die hohe Wahlbeteiligung auch eine Reaktion auf die durch den Brexit eingeläutete Gefahr eines Zerfalls der Europäischen Union. In Rumänien spielte zudem die um sich greifende Wut der Bevölkerung auf die Kamarilla des damaligen PSD-Chefs Liviu Dragnea eine Rolle. Für den Urnengang am 9. Juni 2024 ist daher eine Beteiligung in Höhe von 25 bis 35 Prozent zu erwarten – die Berechnung stützt sich auf den Median der Wahlbeteiligung bei den Europawahlen in der Zeitspanne 2007–2014. Bei einer auf den Mittelwert berechneten Wahlbeteiligung würde die PSD glimpflicher als die PNL davonkommen, weil ihre Kernwählerschaft stabiler und disziplinierter ist. Die rechtspopulistische Allianz für die Einheit der Rumänen (AUR) könnte hingegen die lange angestaute Unzufriedenheit für sich nutzen und ein Wahlergebnis von über 20 % einfahren.
Die große Unbekannte: die Präsidentschaftswahlen
Da Rumänien in vielerlei Hinsicht eine präsidentielle Demokratie geworden ist, stellen die Präsidentschaftswahlen zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung den wichtigsten Urnengang dar. Den Anhänger_innen der Linken in Rumänien sind zwei relevante Momente gut bekannt oder zumindest in Erinnerung geblieben. Nachdem Adrian Năstase bei der Präsidentschaftswahl 2004 eine Schlappe einstecken musste, hat die Humanistische Partei Rumäniens (PUR) – damals Juniorpartnerin in der Regierungskoalition – das Bündnis mit den Sozialdemokraten aufgegeben und mit der Allianz „Gerechtigkeit und Wahrheit“ (D.A.) koaliert, die aus der PD und der PNL bestand. Die PSD sah sich in der Folge gezwungen, die Oppositionsbank zu drücken, obgleich sie die relative Mehrheit bei den Parlamentswahlen gewonnen hatte. Zu „verdanken“ hatte sie das auch dem frisch gewählten Staatspräsidenten Traian Băsescu, der auf eine Ad-hoc-Koalitionsregierung gedrängt hatte, die nicht dem bei den Urnen ausgedrückten Willen der Wählenden entsprach. Das Sahnehäubchen: Băsescu selbst bezeichnete damals seine Entscheidung, die PUR in das Kabinett um den Liberalen Călin Popescu-Tăriceanu aufzunehmen, als „unmoralische Lösung“ des Problems!
Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 ging es noch abstruser zu: Obwohl Traian Băsescu politisch isoliert war und Mircea Geoană sich einer breiten Unterstützung erfreute, hat der letztere als Präsidentschaftskandidat der PSD die Wahl letztendlich verloren – der durchaus berechtigte Verdacht, bei der Stimmenabgabe der Auslandsrumän_innen könnte es zu Fällen von Wahlbetrug gekommen sein, wurde nie restlos aufgeklärt. Nach der verlorenen Präsidentschaftswahl konnte die PSD 2009 keine Regierungsansprüche mehr stellen und blieb nebst der von Crin Antonescu geführten PNL in der Opposition.
Die beiden Episoden sind aufschlussreich – in der kollektiven Wahrnehmung haben sie die Auffassung zementiert, dass der Staatspräsident der Puppenspieler ist, der Wahlbündnisse und Regierungskoalitionen nach seinem Gutdünken schmieden oder platzen lassen kann, selbst wenn dies gegen den Willen der Wählerschaft erfolgt. Für alle politischen Parteien Rumäniens, also einschließlich der linken Parteien, ist das Präsidialamt somit nicht nur eine Prestigefrage, sondern eine Schlüsselposition, um sich den Regierungsauftrag zu sichern.
Sollte sich die Hypothese bewahrheiten, dass die Ergebnisse der Europawahlen vom 9. Juni 2024 sich unmittelbar auf die Strategie der Parteien hinsichtlich der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auswirken werden, ist zu erwarten, dass die Präsidentschaftskandidaten der jeweiligen Parteien erst im Sommer aufgestellt werden. Hier gibt es drei mögliche Varianten:
a) Die PNL bricht das Bündnis mit der PSD und versucht, die Präsidentschaftswahl mit einem oder einer neuen Parteivorsitzenden zu gewinnen, der oder die in der Stichwahl fähig sein würde, die Wählenden rechts der Mitte sowie jene in der Diaspora zu mobilisieren. Die PSD würde in diesem Fall mit dem derzeitigen Parteivorsitzenden Marcel Ciolacu ins Rennen um die Präsidentschaft gehen.
b) Die PNL bleibt in der Koalition mit der PSD, und Nicolae Ciucă, der amtierende Parteichef der Liberalen, wird zum Präsidentschaftskandidaten der PNL nominiert. Auch in diesem Fall würde Marcel Ciolacu seitens der PSD antreten.
c) Die PSD und die PNL entscheiden sich für eine Aufrechterhaltung der Koalition und bekennen sich offiziell zu einem Wahlbündnis auch für die nächste Legislatur, was auch die bewährte Rochade der Premierminister beinhalten würde. Der Parteichef der PSD könnte in diesem Fall sein Amt als Premierminister auch in den nächsten zwei Jahren nach den Parlamentswahlen innehaben. Da aber beide Parteien sich vermutlich nicht werden darauf einigen können, einen der beiden Vorsitzenden zum gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der Koalition zu ernennen, könnte man auf eine „unabhängige“ Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zurückgreifen, die größere Chancen hätte, als Wahlgewinnerin hervorzugehen. Diese Hypothese wird zwar von beiden Parteien im Augenblick noch vehement abgestritten, doch könnte sie nachträglich durchaus wieder aktuell werden, um die Fortsetzung der Koalition zu gewährleisten. Die Rolle des neuen Staatspräsidenten wäre in diesem Fall, das politische Gleichgewicht beizubehalten und eine Machtkonzentration in den Händen einer einzigen politischen Gruppierung gegebenenfalls abzuwenden. Meinungsumfragen zufolge ist die Zustimmung für einen „unabhängigen“ Kandidaten in der Öffentlichkeit ziemlich groß, doch steht dies im Kontrast zu der traditionellen Vorgehensweise der politischen Parteien, die darauf hinarbeiten, dass der eigene Parteivorsitzende Staatspräsident wird.
Zwei weitere Wettbewerber mischen noch die Politbühne vor der Präsidentschaftswahl auf: die AUR und die Union Rettet Rumänien (USR). Beide politische Gruppierungen versuchen im Vorfeld der Wahlen, bisher wenig relevante Personen in den Vordergrund zu bringen, indem sie sich politisch positionieren: Die AUR steht für den sogenannten „souveränistischen“ Pol, während die USR sich als Initiatorin eines „Mitte-Rechts-Pols“ betrachtet.
Der Aufwind, den die AUR seit einiger Zeit erfahren hat, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den bereits erwähnten Krisen in der rumänischen Gesellschaft. Selbst wenn die AUR keine realistischen Lösungen für die Probleme der rumänischen Gesellschaft und Wirtschaft liefert, ist das für ihre Stammwählerschaft kaum von Bedeutung, denn die Partei fungiert als Sammelbecken für die soziale Frustration vieler Menschen, die durch Desinformation und Verschwörungstheorien noch weiter gesteigert wird. Die politischen Entwicklungen auf europäischer Ebene begünstigen außerdem die AUR – in mehreren Ländern der EU haben rechtsextreme, europaskeptische Parteien nicht nur den Sprung in Parlamente und Koalitionsregierungen geschafft, sondern könnten bei den Europawahlen sogar noch zulegen.
Die USR verfügt ihrerseits – selbst bei einer Verwirklichung des „Mitte-Rechts-Pols“ – über keine charismatischen Führungsfiguren, die politischen Optimismus ausstrahlen würden. Das Ziel dieser Partei bleibt folglich, auf die ihr treu gebliebene Kernwählerschaft zu setzen, um somit die erwartbaren politischen Tantiemen einzukassieren und bequem Posten neu zu verteilen. Egal wer der Präsidentschaftskandidat (oder die Präsidentschaftskandidatin) der USR sein wird, wird er (oder sie) es nicht in die Stichwahl schaffen, doch die Stammwählerschaft dieser Partei könnte eine entscheidende Rolle im Ausgang der Präsidentschaftswahlen spielen. Aufgewertet werden in der Wählergunst könnte die USR nur, wenn die PNL mit der PSD bricht. In diesem Fall wäre es zu erwarten, dass die Rhetorik der „Einheit des bürgerlich-liberalen Lagers“ gegenüber der „sozialistischen Gefahr“ reaktiviert wird.
Kann die PSD alle vier Wahlgänge gewinnen?
Mit der zahlreichsten und diszipliniertesten Kernwählerschaft von ca. 3 Mio. Wahlberechtigten könnte die PSD in puncto Wählerstimmen und Anzahl der errungenen Mandate nach den Europawahlen, Kommunalwahlen und Parlamentswahlen ganz oben auf dem Siegerpodest stehen. Die konkreten Wahlergebnisse der Sozialdemokraten hängen nicht nur von der Mobilisierung der traditionellen Wählerschaft ab, sondern auch von der Qualität des programmatischen und personellen Angebots. Um ihr Potential hinsichtlich der Wahlen für das Europäische Parlament zu maximieren, wäre die PSD gut beraten, eine Kandidierendenliste zu erstellen, die sich nicht allein der Zustimmung der Leitenden der Parteifilialen auf Landkreisebene erfreut, sondern auch bei der Wählerschaft gut ankommt. Eine für die PSD erfolgreiche Wahlliste wäre eine Zusammensetzung, in der das Gleichgewicht der Geschlechter gewahrt ist und sich Kandidierende mit erwiesener Erfahrung sowie junge, vielversprechende Menschen wiederfinden – in summa Persönlichkeiten, die mit den Werten der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) kompatibel sind.
Eine Wahlliste von Menschen mit authentisch sozialdemokratischen Überzeugungen ist nicht nur ein Gebot der Effizienz in der Vermittlung von glaubwürdigen politischen Botschaften im Wahlkampf, sondern wäre schlicht ein pragmatisches Unterfangen im Interesse des ganzen Landes. Im Vorfeld der wichtigen politischen Auseinandersetzungen, die der Reform der Europäischen Union vorausgehen werden, ist es für die PSD unabdingbar, über eine Riege von Abgeordneten im Europäischen Parlament zu verfügen, die fähig ist, sowohl die Werte eines sozialen Europas zu vertreten als auch die nationalen Interessen zu fördern. Einfluss im Europäischen Parlament kann man sich nur durch Politiker_innen verschaffen, die hochprofessionell sind und politisch ein hohes Ansehen genießen.
Die Parlamentswahlen wären für die PSD eine gute Gelegenheit, für die Reprofessionalisierung der Parlamentsabgeordneten einzutreten, um somit der Institution der Volksvertretenden wieder Glaubwürdigkeit einzuflößen. Generell müssten sich die politischen Parteien dessen bewusst werden, dass ein Parlament nicht allein disziplinierte Abgeordnete braucht, die wie eine unpersönliche Abstimmungsmaschinerie funktionieren, sondern auch echte Profis auf ihrem jeweiligen Gebieten: Rechtswissenschaften, Wirtschaft, Forschung, IT, Kultur u.a.m. Nur mit deren Beitrag kann man bessere Gesetze erwirken, die zum Fortschritt Rumäniens beitragen würden.
Für die PSD wäre hinsichtlich der vier bevorstehenden Wahlgänge zudem das Abzielen auf Wählende von außerhalb der angestammten Wählerschaft von wesentlicher Bedeutung. Signifikante soziale und berufliche Gruppen fühlen sich in ihren Erwartungen von der Sozialdemokratie nicht angesprochen, weil sie mutige Entscheidungen mit Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit vermissen. Zwar hat das Kabinett um Marcel Ciolacu Ansätze einer linken Agenda thematisiert, doch eine wahlstrategisch langfristige Wirkung könnte sie nur entfalten, wenn es nicht allein um eine kurzfristige Lösung der Haushaltskrise ginge, sondern auch um die Verwirklichung der Grundwerte der Sozialdemokratie: Solidarität, Gleichstellung, Freiheit, soziale Gerechtigkeit.
Für die PSD mag die Präsidentschaftswahl kommunikationstechnisch zwar kein großes Problem sein, doch rein mathematisch dürfte sie sich als schwierig gestalten – kein bisheriger Präsident des postkommunistischen Rumänien konnte mit weniger als 5 Mio. Wahlstimmen gewählt werden; in der letzten Dekade summierte sich das beste Ergebnis, das die PSD jemals erzielen konnte, auf 3,2 Mio. Wählerstimmen bei den Parlamentswahlen im Jahr 2016. Zwar konnte selbst eine Präsidentschaftskandidatin mit geringen Aussichten auf Erfolg wie Viorica Dăncilă 9 von 10 PSD-Wählern für sich gewinnen; doch bei einer geschätzten Wahlbeteiligung von rund 10 Mio. Wählern (mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten) dürfte der Kandidat der PSD im ersten Urnengang für die Präsidentschaftswahl mit nur ca. 3 Mio. Stimmen rechnen; um die Stichwahl für sich zu entscheiden, müsste der Anwärter auf das höchste Amt im Staat mindestens weitere 2 Mio. Wähler auf seine Seite ziehen. Das kann nur mit politischen Allianzen und überzeugenden persönlichen Stärken gelingen.
Im Politikmilieu wird oft das Szenario einer „erneuten Konfrontation zwischen Demokratie und Extremismus“ beschworen – mit Bezug auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000, als sich Ion Iliescu gegen Corneliu Vadim Tudor durchsetzte. Sicherlich kann eine Stichwahl zwischen den Präsidentschaftskandidaten der PSD und der AUR nicht ausgeschlossen werden, doch ist die Ausgangslage 2024 eine andere. Der euroskeptische Populismus befindet sich im Aufwind in ganz Europa, und unter den Diaspora-Rumän_innen (darunter rund 1 Mio. Wahlberechtigte) dürfte diese Strömung auch Wirkung zeigen. Bislang hat die PSD maximal eine von zehn Wählerstimmen aus der Diaspora erhalten, und die Auslandsrumän_innen sind meistens über Social Media erreichbar, wo der sozialdemokratische Einfluss eher gering ist. Zwar ist noch nicht bekannt, wer zum Präsidentschaftskandidaten der AUR erkoren wird, doch ist es unwahrscheinlich, dass es eine Person mit einer belastenden Vergangenheit sein wird, die mit jener Corneliu Vadim Tudors vergleichbar wäre. Folglich würde sich die der Sozialdemokratie abgeneigte Wählerschaft nicht automatisch einer „Wahl des kleineren Übels“ zuwenden, wie sie es im Jahr 2000 notgedrungen tat. Auf den ersten Blick dürfte ein Kandidat der PSD die Stichwahl gegen einen Kontrahenten von der AUR zwar problemlos gewinnen, doch bei auf Personen zentrierten Wahlen sind „Überraschungen“ niemals auszuschließen, denn viele Wählende schenken der in ihrem Auftritt „peppigeren“ Persönlichkeit instinktiv mehr Vertrauen – ungeachtet dessen, von welcher Partei der Kandidat oder die Kandidatin aufgestellt wurde.
Nach den bisherigen Ausführungen sollte nicht geschlussfolgert werden, dass eine von der PSD unterstützte Person nicht fähig wäre, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, doch der oder die Kandidat_in müsste mehrere Voraussetzungen gleichzeitig erfüllen. Die ideale Person müsste die Fähigkeit haben, die Stammwählerschaft der Partei an der Basis zu mobilisieren, ohne soziale Anfeindungen zu propagieren oder Angriffsflächen für negative Kampagnen zu bieten: ein "Teflon-Kandidat", an dem negative Äußerungen abprallen. Für die Wählenden muss glaubhaft gemacht werden können, dass der oder die potentielle Staatschef_in nicht die Herkunftspartei begünstigen wird und gegenüber allen Parteien unvoreingenommen handeln wird. Die Botschaft sollte sein, dass die Rolle als Moderator_in zwischen Staat und Gesellschaft ernst genommen wird und erfüllt werden wird. Das bedeutet wiederum, proaktiv zu sein, sich nicht ständig in Konflikten mit dem oder der Premierminister_jn oder anderen Parteien verwickeln zu lassen, sondern eine integrative, auf gesellschaftlichen Konsens basierende Herangehensweise zu pflegen.
*** Mit dem Vorteil der Vereinigung aller linken Kräfte in Rumänien hat die rumänische Linke durchaus die Chance, ein erfolgreiches Wahljahr 2024 hinter sich zu bringen. Das „Geheimrezept“ für den Erfolg ist, die politische Strategie von der konfliktbeladenen und sensationsgierigen Logik der Presse und der Social Media fern zu halten. Für die vier aufeinanderfolgenden Wahlgänge wäre die sozialdemokratische Partei gut beraten, sich nicht nach dem Motto „Alles oder nichts“ zu richten, sondern auf den sozialen Frieden und die politische Stabilität hinzuarbeiten, sowie Offenheit für die Lösung der vielfältigen gesellschaftlichen Probleme zu zeigen. Politische Programme, die mit Augenwischerei zu punkten versuchten, wären ein sicherer Weg zu einem Wahldebakel. Ebenso die Aufstellung von Wahllisten, die sich aus politischer Klientel ohne berufliche und menschliche Qualitäten speisen würden. Wahlen und die (Neu-)Aufteilung von Machtverhältnissen dürfen kein Selbstzweck sein, sie sollten nur als Hilfsmittel für eine bessere und lebenswertere Gesellschaft eingesetzt werden. Rumänien und die Welt verdienen es, auch nach dem „Superwahljahr 2024“ gut regiert zu werden!
Über den Autor:
Dr. Florin Abraham ist Historiker und Professor für Politikwissenschaft an der Nationalen Hochschule für Politik- und Verwaltungswissenschaften (SNSPA). Zu seinem Forschungsgebiet gehören Geschichte de 20. Jh., politische Gesellschaftsordnungen und Demokratisierungsprozesse. Er hat mehrere Bücher sowie zahlreiche wissenschaftliche Artikel in Rumänien und im Ausland veröffentlicht.
Dieser Artikel wurde im Januar 2024 erstmals in rumänischer Sprache veröffentlicht.
Die in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Einstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wider.
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